Andreas Englisch: Mein geheimes Rom

Es gibt fast nichts, was Andreas Englisch auslässt, um seinem neuen Rombuch einen vorderen Listenplatz unter den Romführern zu verschaffen. Schon Titel und Untertitel „Mein geheimes Rom. Die verborgenen Orte der Ewigen Stadt“ versprechen eine Stadtbesichtigung abseits der üblichen Touristenrouten. Ganz individuell reisen eben, was gerade Romliebhaber suchen. Und so führt sie Andreas Englisch zu Kirchen, Villen und Palazzi, zu denen sonst außerhalb des Programms – wenn eine Reisegruppe sich z. B. nach dem Besichtigen beim Shoppen erholt – nur vereinzelte Interessierte mitgehen.

 

Gleich vorweg: Wer sich Zeit nehmen kann in Rom und gerne hört und vorliest – der ist mit diesem Führer sicher gut beraten.


Die Touren sind alle ökologisch einwandfrei –  insgesamt 7 Routen werden mit dem Fahrrad abgefahren. Die Fahrradstrecken, alle mit QR-Codes versehen, führen in kleinere Straßen und Gassen, an denen bedeutsame historische Zeugen oft übereinandergebaut und -gemalt einen Flair von Antike, Mittelalter oder Renaissance verbreiten. Man spürt etwas von der Atmosphäre von z. B. Trastevere, als wohne man selbst dort, wo Andreas Englisch lebt. Zumal der Autor einen auch mitnimmt in die Bars, Cafés und Restaurants, die ihm besonders lieb sind. Durch das illustrierende Fotomaterial des Buches hat man die Anschauungsobjekte auch gut vor Augen.

 

Englisch erzählt Überraschendes und Erschreckendes, Skurriles oder Schräges , das so erscheint, weil die Beweggründe, warum es  passierte, erhalten oder als heiliger Ort verehrt wurde, nicht mehr nachverfolgt werden können oder heutigem Denken fremd sind. Z. B. von einer Säule mit einem augengroßen Loch aus dem Schlafzimmer des römischen Kaisers Augustus in der Kirche von Aracoeli  oder von einem  Abdruck der Knie des Petrus in der Kirche Santa Francesca Romana. Dabei ist das, was man an Klärendem erfährt, nichts Neues. Manch einem aber vielleicht doch unbekannt, gerade wenn es um speziell Kirchengeschichtliches oder Theologisches geht. Man horcht aber auf, erstaunt, amüsiert, hält inne, angesichts der unverstellten Art, mit der Andreas Englisch die Fülle an Geschichten und stadt-, kunst-, papst-, kirchen-und theologiegeschichtlichen Fakten erzählt.

 

Was steckt z. B. hinter den erwähnten Knieabdrücken des Apostels Petrus? Die sollen nämlich von einem Kniefall des Petrus an genau der Stelle, wo die uralte Kirche Santa Francesca Romana steht, stammen. Wie kann das sein? Zunächst: Man weiß doch gar nicht, ob Petrus überhaupt einmal in Rom war. Die Apostelgeschichte (ca. 90 n. Chr.) sowie das ganze Neue Testament überliefern nichts von Petrus in Rom. Darüber berichten aber die apokryphen – also nicht in den Schriftkanon aufgenommenen – Petrusakten (2. Jhd. n. Chr.). Demnach bittet Petrus Gott auf Knien, den Zauberer Simon, der über dem Forum Romanum „fliegt“, abstürzen zu lassen. Petrus gewinnt diesen Kampf zwischen Gut und Böse: Simon stürzt ab und bricht sich die Beine. Das am meisten verbreitete Buch des Mittelalters, die goldene Legendensammlung  „Legenda Aurea“  erzählt die Geschichte dann weiter, dass Petrus bei seinem Bittgebet als Zeichen der Erhörung Kniespuren im Stein hinterließ, die in der Kirche von Santa Francesca Romana zu sehen sind. Das ist aber längst nicht alles, was die Kirche „Santa Francesca Romana“ verbirgt, erzählt Andreas Englisch. Tief unten in der Krypta steht ein gläserner Schneewittchensarg mit der hl. Francesca Bussa dei Ponzani (1384-1440). Diese Gründerin eines Oblatenordens und für das Mittelalter hoch gebildete Frau sagte, sie habe die Hölle und das Fegefeuer gesehen und erlebt. Ihre Visionen des Bösen sind von Meistern der Renaissance auf die Wände der alten Kirche ihres Klosters gemalt worden und können nur an einem einzigen Tag im Jahr besichtigt werden.


Francesca beschreibt ihre Visionen und schildert sieben Abteilungen des Fegefeuers mit Details, die bis heute in der Eschatologie (Lehre von den letzten Dingen) zu finden sind. Ihre Überzeugung, dass es möglich ist, vom Diesseits aus ins Jenseits einzugreifen, hatte weltumspannenden Einfluss in der katholischen Kirche – insbesondere durch die Reformation. In die Kirche „Santa Francesca Romana“  seines „geheimen Rom“ muss Andreas Englisch einen führen.


Sein Buch hat nämlich einen Plot, nach dem er die Touren ausrichtet, und in diesem Plot geht es um das Böse. Eine junge Studentin aus Deutschland, Lena, fährt eine Romreise ihrer Großmutter mit Führungen von Andreas Englisch nach, bei der Oma Amelie ihre enge Bindung zur Kirche verloren hat. Im Fokus der Führungen habe immer wieder das Böse gestanden. Was genau sie allerdings gesehen oder gehört, was sie so verändert hat, hat die alte Dame mit ins Grab genommen. Als Lena davon berichtet und dass sie das aufklären will, fahren Andreas Englisch und sein Sohn Leo alle Orte ab, bei denen Englisch über das Böse gesprochen haben könnte. Angesichts von Macht- und Gewaltexzessen der römischen Päpste, ihrer Hofführung und Frivolität, der Vermischung von weltlicher und geistlicher Macht, ihrem Erfindungsreichtum (z. B. der Erfindung des Fegefeuers), ihren Kreuzzügen und Kriegen, von Inquisition und Exorzismus gibt es solche Orte „dunkler Mächte“ zu hauf in Rom. Ach ja, damit Leo bei der Stange bleibt und die Touren mitvorantreibt, ist er in Lena verliebt.


Insgesamt sind Plot und Rahmenhandlung für meinen Geschmack etwas trivial. Andreas Englisch hat keinen Krimi geschrieben, dafür ist  „Mein geheimes Rom“ einfach nicht spannend genug und hat viel zu viele Tote. Für einen einfachen Romführer fehlt dem Buch jedoch die Verdichtung. Die Erzählung verwässert die Sachinformation und lenkt immer wieder auf Nebenschauplätze.


Andreas Englisch: Mein geheimes Rom: Die verborgenen Orte der Ewigen Stadt. München: Bertelsmann, 2021, 462 Seiten.

Sabine

 

Kommentare: 2
  • #2

    Rolf Schumacher (Montag, 18 April 2022 17:57)

    Andreas Englisch gibt sich als profunder Vatikankenner. Ich habe einige seiner Bücher gelesen. Sie sind reisserisch, einseitig und oft sehr tendenziös. Würde mich ganz ehrlich wunder nehmen für wen Englisch arbeitet! Seine Reportagen sind derart unsachlich, dass man von manipulativem Journalismus ausgehen muss.

  • #1

    Annette (Donnerstag, 30 Dezember 2021 10:14)

    Erhellender Kommentar zum Buch. Der Plot macht es tatsächlich trivial und schmälert die Lust, es zu kaufen und zu lesen.