Günter Seubold: Von den Bergen

Zu Beginn dieser Rezension muss ich zunächst einmal von mir selbst reden: Ich liebe Bücher über das Bergsteigen. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Einmal wurde uns in der Schule Sir Edmund Hillarys Bericht über seine und Tenzing Norgays Erstbesteigung des Mount Everest am 29. Mai 1953  komplett vorgelesen: „High Adventure“ (deutsche Ausgabe: Ich stand auf dem Everest, 1959). Ich habe dieses Buch in bester Erinnerung behalten und es rund 50 Jahre später noch einmal mit großem Vergnügen gelesen.

 

Der andere Grund, warum mich Bücher über das Bergsteigen faszinieren, ist meine Höhenangst. Schon wenn ich ein Video sehe, in dem Menschen in großer Höhe agieren, wird mir schwindelig, die Haut kribbelt und ich bekomme Herzrasen. Bücher über das Bergsteigen vermitteln mir also Erfahrungen über einen Teil der Welt, die ich selbst nie machen werde. Wenn ein Buch gut geschrieben ist, bringt es meine Haut zum Kribbeln – wie große Höhe. Aber zum Glück sitze ich sicher und halbwegs auf Meereshöhe im Sessel.

 

Doch jetzt endlich zum Buch, um das es hier gehen soll:

 

Der Philosoph Günter Seubold hat ein Buch über das Bergsteigen geschrieben. „Von den Bergen“ heißt es und berichtet über „Erlebnisse und Widerfahrnisse auf acht Bergfahrten“. Seubold, der bis vor kurzem Professor für Philosophie und Kunsttheorie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn war, hat zwar nicht den Everest bestiegen. Aber er war auf dem Watzmann (über die legendäre Ostwand), er war auf dem Biancograt des Piz Bernina, auf dem Matterhorn, Piz Julier, Piz Palü und auf dem heiligen Berg der Japaner, dem Fuji-san.

 

Jede von Seubolds acht Bergfahrten ist spannend geschrieben. Immer wieder kribbelte bei mir die Haut. Es sind allerdings auch keine reinen Erfolgsgeschichten. Seubold erzählt auch von seinen Fehlern, von Leichtsinn und Selbstüberschätzung. Zweimal ist er mehr oder minder knapp einem Absturz entkommen und hat sich schwer verletzt.

 

Das wirklich Besondere aber an „Von den Bergen“ ist die Tatsache, dass der Autor Philosoph ist. Er selbst stellt sich immer wieder die Frage: Warum tue ich das eigentlich? Warum steigt man unter Gefahr für das eigene Leben auf einen Berg? Der britisch Bergsteiger George Mallory, der bei dem Versuch den Everest zu bezwingen am 1924 umgekommen ist, hat darauf geantwortet: Because it's there. Weil er da ist. Ganz so einfach macht Seubold es sich nicht. Seine Antwort lautet eher: Weil ich lebe und es spüren will. Es geht, mit Heidegger zu sprechen, beim Bergsteigen um Entschlossenheit. Gerade im Bereich der Gefahr auf dem Berg wird das eigene Dasein ergriffen und gewinnt sich selbst. Profan ausgedrückt, beim Bergsteigen spüre ich ganz besonders intensiv, dass ich lebe.

 

Aber keine Sorge, man muss nicht unbedingt auf das Matterhorn, um das eigene Leben mit jeder Faser zu fühlen. Wer verliebt ist, kennt das Gefühl. Wer selbst Musik macht, kennt es. Wer wissen will, wie sich das beim Bergsteigen anfühlt, dem sei Günter Seubolds schönes Buch „Von den Bergen“ sehr ans Herz gelegt.

 

Günter Seubold: Von den Bergen. Erlebnisse und Widerfahrnisse auf acht Bergfahrten. DenkMal-Verlag, Berlin 2023.

 

Udo

Kommentare: 0