Irvin D. Yalom und Marilyn Yalom: Unzertrennlich

 Schon bei der Verlagsankündigung von „Unzertrennlich“ waren wir beide – gerade auch als älteres Ehepaar – fasziniert. Ein Paar schreibt über seine letzten gemeinsamen Monate. Sie ist todkrank und hat nur noch wenige Monate zu leben. Sie schreibt aus der Sicht der Sterbenden, er aus der Sicht des Begleiters, der allein zurückbleiben wird.

 

„Unzertrennlich“ ist eine Art Tagebuch, das ein Paar über seine letzten gemeinsamen neun Monate schreibt, nachdem bei ihr ein todbringendes Multiples Myelom festgestellt wurde. Doch die beiden sind nicht irgendwer. Sie sind bekannte amerikanische Intellektuelle.

 

Irvin D. Yalom (*1931) ist einer der bekanntesten und einflussreichsten Psychoanalytiker weltweit. Er hat u. a. den Sigmund-Freud-Preis für Psychotherapie erhalten und zahlreiche Fachbücher publiziert, die zu Klassikern des Genres gehören. Einem breiten Publikum ist er bekannt geworden durch seine Romane. „Und Nietzsche weinte“ oder „Die Schopenhauer-Kur“. Dazu gibt es einen sehenswerten Dokumentarfilm über ihn: „Yalom’s cure“.

 

Seine Frau Marilyn Yalom (1932-2019) war eine vielfach ausgezeichnete feministische Kulturwissenschaftlerin, Pionierin im Bereich der Gender Studies und Mitbegründerin des „Center for Research on Women“ an der Stanford University. Für ihre Arbeiten zur französischen Literatur und Kultur erhielt sie den Ordre des Palmes Académiques. Sie hat zahlreiche Sachbücher veröffentlicht und noch in der Hospizbetreuung redigiert sie ein Buch über Erinnerungen von Kindern an den Zweiten Weltkrieg: „Die Unschuld der Opfer: Kindheit im Zweiten Weltkrieg“, das posthum erschienen ist.

 

Als bei Marylin 2019 Krebs diagnostiziert wird, schlägt sie Irvin vor, ein gemeinsames Buch zu schreiben: „Du wirst deine Kapitel schreiben und ich meine, und sie werden sich abwechseln. Es wird unser Buch werden, ein einzigartiges Buch, denn es wird zwei Denkweisen beinhalten, nicht nur eine, es werden die Überlegungen eines Paares sein, das seit fünfundsechzig Jahren verheiratet ist! Eines Paares, das glücklich genug ist, einander beistehen zu können auf diesem Weg, der schlussendlich zum Tode führt.“ (s. 11)

 

Dieser Ansatz hat uns fasziniert und wir haben das Buch als gemeinsame Ferienlektüre gewählt und uns gegenseitig vorgelesen, Udo die Kapitel, die Irvin geschrieben hat, Sabine die von Marylin. Die Lektüre war jedes Mal spannend. Zunächst die Texte selbst, die das das so unterschiedliche Erleben derselben Tage und Phasen von Krankheit und Sterben beschreiben. Angesichts der nahen Trennung sind sie sind voller Erinnerungen an zwei erfüllt gelebte Leben. Vor allem aber berühren die Texte immer wieder die großen existenziellen Themen: Was ist ein gelingendes Leben? Wie wollen wir sterben? Wie sollte man leben, damit man leicht sterben kann? Wie steht es um Sterbehilfe? Angesichts von Marilyns immer näherkommenden Tod geht es praktisch um alles oder nichts. Während Marylin ihrem Tod sehr ruhig, klar und selbstbestimmt entgegengeht, verdrängt Irvin in den ersten Monaten nach Kräften. Das ist erstaunlich, denn Irvin Yaloms großes Thema in der Psychotherapie ist der Umgang mit dem Tod. Wir haben beim Lesen Marylin ins Herz geschlossen, während Irvin in seiner Selbstbezogenheit uns teilweise auf die Nerven ging. Seine Frau liegt im Sterben – und er zitiert aus seinen alten Büchern.

 

Erst nach Marylins Tod am 20. November 2019 er kennt Irvin, dass er in den Monaten ihres Abschieds Phasen durchlaufen hat, die er selbst aus seiner Forschungsarbeit eigentlich kennt. Es spricht sehr für ihn, dass er seine Aufzeichnung der letzten Monate mit Marylin nicht nachträglich geschönt hat.

 

Fast ganz am Ende des Buches, 100 Tage nach Marylins Tod, liest Irvin in seinem Buch „Die Reise mit Paula“ noch einmal die Geschichte „Trauer-Therapie“. Darin geht es um Irene, die bei ihm in Therapie ist, weil ihr Mann im Sterben liegt. Irene wirft Irvin vor, er könne sie nicht verstehen, weil er selbst nie die Erfahrung gemacht habe, einen geliebten Menschen zu verlieren. In der Geschichte begegnet er Irenes Vorwurf professionell: Man müsse schließlich nicht süchtig sein, um Süchtige zu behandeln oder selbst schizophren sein, wenn man Schizophrene behandelt. Aber jetzt erkennt Irvin: „Irene, ich glaube, Sie lagen richtig.“ (S. 289)

 

„Unzertrennlich“ ist ein Buch, das viele Gespräche zwischen uns angestoßen hat. Es ist ein Buch, das zu Herzen geht, das auf die Nerven geht, es ist klug, es macht traurig und es ist ein Buch über das große Glück, als Paar durchs Leben zu gehen. Kurz: Es ist absolut lesenswert!

 

 

Irvin D. Yalom und Marilyn Yalom: Unzertrennlich. Über den Tod und das Leben, btb Verlag, München 2021

 

Sabine & Udo

 

 

 

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