Rüdiger Safranski: Kafka. Um sein Leben schreiben

Am 3. Juni 1924 ist Franz Kafka im Alter von 40 Jahren gestorben. Sein Tod jährt sich in diesem Jahr zum hundertsten Mal und das ruft eine regelrechte Kafka-Industrie ins Leben. Das Goethe-Institut hat geradezu ein Mammutprogramm aufgelegt, im März startet in der ARD eine TV-Serie über Kafka und es gibt zahlreiche neue Bücher über ihn.

 

 

Eines davon ist Rüdiger Safranskis „Kafka. Um sein Leben schreiben“. Safranski ist eigentlich so etwas wie ein deutscher Hausbiograf fürs Bildungsbürgertum. Er hat schöne, kluge und lesenswerte Lebensbeschreibungen von Heidegger, Hölderlin, Goethe, Schiller, Nietzsche, Schopenhauer und E.T.A. Hoffmann geschrieben. Jetzt also Kafka.

 

Nun braucht es wirklich keine neue Kafka-Biografie. Reiner Stach hat das gründlichst und in mehreren Bänden erledigt. Safranski geht einen anderen Weg.

 

 

Am 14. August 1913 schreibt Kafka an seine damalige Verlobte Felice Bauer: „Ich habe kein litterarisches Interesse, sondern bestehe aus Litteratur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein.“

 

 

Safranski nimmt diesen Satz ernst und erzählt nicht Kafkas Leben, sondern seine Literatur. Wo immer es dem Verständnis dient, zieht er natürlich biografische Details hinzu. Aber im Grunde macht Safranski nichts anderes, als Kafkas Texte zusammenzufassen und zu erläutern.

 

 

Man kann jetzt fragen: Braucht es das? Macht er nicht mehr? Aber das Ergebnis von Safranskis Ansatz ist erst einmal ein Buch, das sich gut liest und manchmal eine Spannung entwickelt, die für ein Sachbuch eher selten ist. Dann macht Safranski Lust darauf, Franz Kafka selbst wieder zu lesen – oder ihn überhaupt einmal richtig zu lesen. Denn das wird in diesem Jubiläumsjahr wahrscheinlich kaum jemand tun. Die Schüler*innen unserer gehobenen Lehranstalten werden weiter mit „Die Verwandlung“, „Das Schloss“ oder „In der Strafkolonie“ befasst. Das ist dann aber auch praktisch alles, was sie je von Kafka lesen werden. Bei mir war bzw. ist es nicht viel anders. Und sonst schaut man halt die Serie im TV und gruselt sich ein bisschen, wenn Gregor Samsa darin unters Bett krabbelt. Safranski macht mit seinem Ansatz neugierig auf die Texte Kafkas selbst. Und das ist inmitten der Kafka-Industrie von 2024 schon sehr viel.

 

 

Und noch etwas erscheint mit wichtig: Safranski nimmt Kafka ernst. Dem ging es um seine „Litteratur“ und nicht um sein (mehr oder weniger verkorkstes) Leben. Es gibt ein Bonmot von Heidegger (über den Safranski ja auch geschrieben hat), der einmal nach der Biografie von Aristoteles gefragt wurde. Heideggers Antwort: „Aristoteles wurde geboren, arbeitete und starb.“ Will sagen: Wir sollten Aristoteles lesen. In seinen Texten finden wir das, was er uns sagen wollte. Nicht in seiner Biografie. Genau das macht Rüdiger Safranski jetzt auch mit Franz Kafka. Er schaut Kafka beim Schreiben gewissermaßen über die Schulter, liest seine Texte und taucht ein in ihre oft bizarren Welten, bei denen es doch immer nur um das Schreiben selbst geht, das Kafkas Leben ist. Lesenwert!

 

 

 

Rüdiger Safranski: Kafka. Um sein Leben schreiben, Hanser, München 2024

 

 

Udo

 

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