Günter Seubold ist Bergsteiger – und Philosoph. Als Philosoph war er Professor für Philosophie und Kunsttheorie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn. Er hat zahlreiche, sehr lesenswerte Bücher über Martin Heidegger geschrieben, über Kunsttheorie oder den Faschismus. Als Philosoph hat er sich aber auch immer wieder damit befasst, dass der Philosoph das Produkt seines Denkens ist, wie es bei Nietzsche heißt. Für sich konkret heißt das bei Seubold: Warum Bergsteigen? Was macht das mit mir als Mensch? Warum tue ich das? Immerhin ist Bergsteigen ein gefährliches Unterfangen. Rein statistisch sterben dabei allein in den Alpen jedes Jahr über 100 Menschen. Man könnte doch auch wandern oder joggen? Bereits 2023 hat Seubold ein Buch über das Bergsteigen veröffentlich. Jetzt ist „Bergsteigen. Eine Philosophie des Lebens“ erschienen.
Seubold beschreibt darin eine Bewegung, die mich stark an Platons Höhlengleichnis in der „Politeia“ erinnert hat. Bei Platon müssen die Menschen das Dunkel der Höhle verlassen, ans Licht treten und die Sonne schauen, um dann wieder in die Höhle zurückzukehren. Beim Bergsteigen geht es aus dem Tal auf den Gipfel und dann zurück ins Tal, wobei der Abstieg der weitaus gefährlichste Teil dabei ist, wie wir bei Seubold erfahren. Das ist bei Platon nicht anders. Wieder in der Höhle erzeugt der Bericht des Philosophen von der Sonne bei den Zurückgebliebenen Wut und Aggression.
Eine andere Assoziation ist die Heldenreise des Mythenforschers Joseph Campbell. Bei dieser Reise begibt sich der Held der Erzählung auf eine gefahrvolle Reise ins Unbekannte, um schließlich in die Heimat zurückzukehren, wo er als veränderter Mensch ankommt. Campbell hat die einzelnen Stufen oder Phasen dieser mythischen Reise in seinem Buch „Der Heros in tausend Gestalten“ beschrieben. Es ist zur Vorlage fast aller großen Hollywood-Filme geworden.
Man findet die Phasen einer solchen Heldenreise auch beim Bergsteigen. Sie beginnt mit dem Alltag im Tal. Dann folgt der Weg zum Berg, der Aufstieg in das eigentliche Unbekannte, das fremde Land, der kurze Moment auf dem Gipfel, dem der viel schwierigere Abstieg zurück ins Tal folgt. Dieser Weg macht etwas mit dem Bergsteiger und verändert ihn, so wie Indiana Jones auch nur ein Archäologieprofessor geblieben wäre, wenn er sich nicht auf die Suche nach der Bundeslade gemacht hätte (Jäger des verlorenen Schatzes).
Was Bergsteigen mit einem macht, muss jeder für sich beantworten. Seubold beschreibt es als „Zu-sich-kommen“ (S. 22). Es verändert mich, weil ich beim Steigen radikal auf mich selbst zurückgeworfen bin. Niemand kann einem den nächsten Handgriff, den nächsten Schritt abnehmen. Um mit Heidegger zu sprechen, lässt jeder Einzelne das Man und das Gerede hinter sich. Diese Zurückgeworfenheit auf mich selbst stellt vor existenzielle Fragen: Schaffe ich das? Reicht meine Kraft? Oder kehre ich besser um? Und was ist, wenn ich mich hier falsch entscheide, wenn ich mich überschätze? Auch davon schreibt Seubold. Fehlentscheidungen können zu lebensgefährlichen, wenn nicht tödlichen Abstürzen führen.
Das Bergsteigen führt jeden Einzelnen also auf den schmalen Grat zwischen Leben und Tod. Wenn alles gut geht, wenn die Tour gut vorbereitet ist, ich meine Kräfte einteile und das Wetter mitspielt, dann erfahre ich Leben in einer höchst intensiven Form. Diese Erfahrung schließlich ist eine spirituelle. Der Bergsteiger weiß, dass es Größeres gibt als ihn selbst. Das ist natürlich der Berg, das allein allerdings wäre trivial. Schlussendlich liegt es nur bis zu einem gewissen Grad in seiner Hand, dass er seine Heldenreise heil übersteht.
Dieser spirituelle Aspekt ist der eigentliche Kern von Seubolds Buch, das sich leicht liest und kein Werk für Fachphilosophen ist. Bergsteigen lehrt Demut vor dem Ganzen, von dem wir immer nur ein Teil sind, wie immer man dieses Ganze auch verstehen möchte: Welt, Natur, Gott … Nicht ohne Grund ist ein Vers aus Psalm 121 dem Buch vorangestellt: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“
Günter Seubold: Bergsteigen. Eine Philosophie des Lebens, Tyrolia Verlag, Innsbruck 2025.
Udo
Susanna Stock (Mittwoch, 28 Mai 2025 13:29)
Mit dem Band „Bergsteigen - Eine Philosophie des Lebens“ hat der Autor und passionierte Bergsteiger Günter Seubold die logische Fortsetzung des 2023 erschienenen Bandes „Von den Bergen“ vorgelegt. Beschreibt er dem Leser hier detailliert acht schwere Hochgebirgstouren mit all ihren Herausforderungen und Entbehrungen, so gibt er ihm in seiner jüngsten Veröffentlichung die Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“