Wolfram Eilenberger: Geister der Gegenwart

Nach „Zeit der Zauberer“ (2018) und „Feuer der Freiheit“ (2020) legt Wolfram Eilenberger jetzt mit „Geister der Gegenwart“ den dritten und wohl abschließenden Band dieser Trilogie vor. Wir haben wieder die Alliteration im Titel, wieder geht es um vier Philosoph*innen. Nach Walter Benjamin, Ernst Cassirer, Martin Heidegger und Ludwig Wittgenstein im ersten Band und Hannah Arendt, Simone de Beauvoir, Ayn Rand und Simone Weil im zweiten Band geht es jetzt um:

 

 

Man kann die drei Bände als grobe zeitliche Abfolge lesen. Die Zauberer zauberten in den 1920er Jahren, das Feuer der Freiheit brannte während der Nazi-Diktatur und im Zweiten Weltkrieg. Jetzt befinden wir uns in der Nachkriegszeit. Das Buch endet mit Foucaults Tod am 25. Juni 1984.

 

Die vier Geister der Gegenwart verbindet aber mehr. Da ist zunächst ihre grundsätzliche Skepsis an Vernunft und Aufklärung, wie sie Adorno und Max Horkheimer 1944 in der „Dialektik der Aufklärung“ formuliert haben. Der ganze Wahnsinn des 20. Jahrhunderts von Auschwitz bis Hiroshima ist eben nicht das Ende der Aufklärung, sondern deren dunkle Seite. Man kann höchst rational Menschen in sehr großer Zahl töten. Je rationaler, umso größer die Zahl.

 

Foucault arbeitet an etwas, das er selbst eine „kritische Geschichte des Denkens“ nennt. Susann Sontag benutzt die Differenz zwischen dem Eigentlichen und Uneigentlichen, zwischen dem Milieu der Hochkultur und Pop, um gegen das eigene Milieu zu denken. Feyerabend schließlich, der ursprünglich aus der analytischen Philosophie kommt, legt 1976 mit „Against Method“ ein systemsprengendes Buch vor, das die analytische Philosophie als blind entlarvt, weil sie nicht außerhalb der Grenzen ihrer eigenen Regeln denken kann. Bestimmte Fragen finden bei ihr einfach nicht statt. Ganz in diesem Sinne schreibt Susan Sontag in einer Erzählung einmal über Blinde, die eigentlich gar nicht blind sind, die aber manche Dinge nicht sehen, weil sie an einer Schädigung des Gehirns leiden, und das Gesehene nicht in ihr Bewusstsein vordringt.

 

Noch etwas eint Adorno, Sontag, Foucault und Feyerabend. Alle vier stehen mehr oder weniger außerhalb des akademischen Philosophierens. Besonders deutlich wird das bei Susan Sontag, die sich mit ihren Arbeiten über den Pop-Art-Stil „Camp“ und dessen künstliche und gewollte Überspitzung oder die Fotografie als Kunstform in Regionen bewegt, die an den Unis kaum registriert werden.

 

Eilenberger geht es um eine Philosophie, die sich ihrer Tradition durchaus bewusst ist, aber keine Uni, keine Akademie braucht, um gehört zu werden. Er selbst ist ja Protagonist eines solchen Denkens und arbeitet im Fernsehen, bei philosophischen Festivals wie phil.cologne oder dem populären Philosophie Magazin. Das Denken zurück auf die Straßen und Plätze bringen, wie es Sokrates vorgelebt hat. Darum geht es Eilenberger. Man spürt es seinem neuen Buch an, das ausgesprochen gut geschrieben ist. Eilenberger kann erzählen. Darauf hätte er sich selbst mehr verlassen sollen. Die teilweise überlangen Zitate im Text stören den Gedankenfluss eher als ihn zu fördern. Die Geister der Gegenwart reißen einen immer dann mit, wenn Eilenberger erzählt.

 

Wolfram Eilenberger: Geister der Gegenwart. Die letzten Jahre der Philosophie und der Beginn einer neuen Aufklärung 1948 – 1984, Klett-Cotta 2024.

 

 

Udo

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